Frühes Sprachlernen
Das Erlernen der Muttersprache beginnt bereits im Mutterleib. Die Prosodie lenkt den Spracherwerbsprozess. Das Kind orientiert sich an betonten Teilen der Sprache, an der Kontur (Melodiebögen) und vor allem an den Pausen. Dazu benötigt das Kind unbedingt ein menschliches Vorbild. Im Umgang mit Babys verwenden Erwachsene eine besondere Form der Sprache, die so genannte “motherese language”. Sprachliche Vorbilder ermöglichen es dem Kind, Sprache als Gegenstand der Welt und seiner Handlungen zu verwenden.
Inhalt
Sprachentwicklung
Die Entwicklung der Artikulation und der auditiven Wahrnehmung (lautliche Kompetenz) ist die unabdingbare Grundlage für die sprachliche Kommunikation im mündlichen Bereich. Ohne diese Voraussetzung kann man nicht richtig sprechen lernen. Dies umfasst die Wahrnehmung, Unterscheidung und Produktion von Lauten, Silben und Wörtern sowie von Einheiten, die über die Laut und Silbeneben hinausgehen (Wörter und Sätze in ihrer typischen Intonation). Die Aneignung lautlicher Kompetenzen beginnt bereits vor der Geburt und ist in der Regel innerhalb der ersten Lebensjahre weitgehend abgeschlossen.
Das Erlernen der Muttersprache beginnt also bereits im Mutterleib. Die Ohren als Sinnesorgane sind sehr früh gereift und ein Fötus im sechsten Schwangerschaftsmonat kann den charakteristischen Akzent der Sprache seiner Mutter wahrnehmen. Man kann sich das etwa so vorstellen, wie wenn der Nachbar seine Stereoanlage sehr laut stellt und man hauptsächliche die Bässe wahrnimmt. Der Rhythmus, den die Akzente vorgeben, und in weiterer Folge noch andere musikalisch-dynamischen Markierungen sind nicht nur sprachspezifisch. Sie sind starke sensorische Eindrücke und lenken die gesamte Sprachentwicklung. Das Kind orientiert sich an betonten Teilen der Sprache, an der Kontur (Melodiebogen) und vor allem an den Pausen.
Um Sprache zu lernen, benötigt das Kind unbedingt ein menschliches Vorbild. Im Umgang mit Babys verwenden Erwachsene eine besondere Form der Sprache, die so genannte “motherese language” oder Ammensprache. Diese Art zu sprechen ist universell und entspricht den Bedürfnissen des lernenden Babys in einer spezielles Weise: man spricht langsamer, die Stimme ist höher, die Akzentuierung ist übertrieben. Man hält dabei Blickkontakt mit dem Kind und artikuliert in einer Weise, dass das Kind die Artikulationsbewegungen beobachten und imitieren kann.
Auch wenn im Mutterspracherwerb manche Kompetenzen parallel gelernt werden, kann man doch von einer bestimmten Reihenfolge diesem Lernprozess ausgehen. Die dynamischen Markierungen der Sprache – Rhythmus, Akzent, Lautintensität, Tonhöhe, Pausen – fungieren im gesamten Spracherwerbsprozess wie ein Geländer, an dem sich Kinder orientieren. Diese Markierungen sind auch für die Erwachsenenkommunikation entscheidend. Sie garantieren, dass sprachliche Kommunikation funktioniert und sind somit die funktionalen Elemente der Sprache.
Daraus entwickelt das Kind seine auditiven Kategorien und gleichzeitig die Kategorien für die Artikulation der Laute in seiner/en umgebenden Sprache/n. Auf dieser Basis ist es ihm aber auch möglich, Elemente aus anderen sprachlichen Bereichen zu wahrzunehmen und zu speichern. Akzent, Rhythmus, Pausen usw. ermöglichen es also, zusammengehörige Segmente (wie jene der Grammatik) zu erkennen. Diese Fähigkeit wird als “Bootstrapping” bezeichnet. Auch das Wiedererkennen von einzelnen Wörtern gelingt mit etwa vier Monaten schon sehr früh. Dabei werden die Zielwörter in einer “Präsentationsphase” mehrere Male besonders betont ausgesprochen. Mit einem relativ geringen Wortschatz von unter 50 Vokabeln trainiert das Kind grammatische Strukturen und die funktionalen Elemente der Sprache. Erst wenn es in diesen Bereichen eine Basiskompetenz erreicht hat beginnt der so genannte “Vokabelspurt”, und damit die Entwicklung des Lexikons (Wortschatzes).
Sprachhandeln
Wie sich ein Kind in die Gesellschaft einfügt, hängt in hohem Maße davon ab, ob es lernt zu kommunizieren und wie gut es sein Handeln, seine Bedürfnisse und seine Interessen auch ausdrücken kann. Das Ziel des Spracherwerbs ist, Sprache als Instrument des Handelns verwenden zu können. Dies ist auch Voraussetzung für Imitation, Improvisation, die Entwicklung der Persönlichkeit, im Rollenspiel und vieles mehr.
Im primären Spracherwerbsprozess lernt das Kind “sprachliche Handlungsmuster” innerhalb der Familie. Es erfährt, dass die Menschen mit und durch die Sprache Ziele erreichen können und lernt, dies ebenso zu tun. Später, wenn das Kind eine Sozialisation in der Institution des Kindergartens, der Schule durchmacht, kann das Kind immer besser die Rolle seiner Interaktionspartner unterscheiden. Es unterscheidet die Sprache der Spielgefährten von der Sprache der Eltern und der Sprache des Lehrers. In seiner eigenen Sprache passt es sich der seines Gesprächspartners an.
Jede neue Erfahrung, jedes neue Aktionsmuster, das das Kind in seiner Umwelt erlebt, erweitert den sprachlichen Spielraum seines Verhaltens und seiner kommunikativen Kompetenz. Im Rollenspiel und noch stärker in der expliziten Theaterarbeit wird auch das soziale Verhalten immer differenzierter.
Alle sprachlichen Bereiche des Theaterspielens, die Fähigkeit des Hörens und Sprechens, der Imitation und letztlich der Interpretation sind Teil dieser sprachlichen Handlungsfähigkeit (pragmatische Kompetenz).
Die sprachliche Handlungsfähigkeit für den Einsatz in unterschiedlichen Bereichen seines Lebens stellt für das Kind einen wichtigen Schritt in seiner sprachlichen Entwicklung dar. Umgekehrt muss mit erheblichen Schwierigkeiten gerechnet werden, wenn dies nicht gelingt.
Was bedeutet dies für meine Unterrichtspraxis?
Die pragmatische Kompetenz ist das Bündel aller Kompetenzbereiche der Sprachentwicklung (lautlich, grammatikalisch, lexikalisch und kommunikativ). Das bedeutet, dass die Fähigkeit sprachlichen Handelns die Voraussetzung für das “Verständnis der Welt” ist . Die erste Stufe dieser Kompetenz sollte vor Eintritt in die Schule erreicht sein. Sie ist die Grundlage zur Entwicklung der Bildungssprache. Defizite in der pragmatischen Kompetenz haben meist massive Auswirkungen auf die schulische Laufbahn.
Reflexionsfrage
Die lautliche Basisqualifikation steht am Anfang des Sprachlernprozesses. Inwiefern optimiert diese Information meine Unterrichtsplanung optimieren?
Quiz
1) Bootstrapping im Sprachenlernen ist
A) eine innere Belohnungsstrategie
B) aus vorhandenem Sprachwissen auf Neues zu schließen
2) Motherese Language ist
A) eine europäische Sprache
B) ein Bereich der Sprachwissenschaften
C) die universelle Sprache, die sich an Babys richtet