Lernen und Gedächtnis
Lernen ist ein Akt der Erkenntnis zwischen Erfahrung und Begreifen. Es geht beim Lernen darum, durch Erleben und Erfahrung interne Kreisläufe des Denkens zu öffnen, das Neue zuzulassen, und die neu hinzugewonnene Information wieder abzuspeichern. Angestoßen wird Lernen durch Neugier und Motivation, aber auch durch sich stellende Probleme und Diskrepanzen. Beim Lernen spielt das Gedächtnis, und vor allem das Arbeitsgedächtnis eine entscheidende Rolle.
Inhalt
Gedächtnisstruktur
Das Gedächtnis ist eine Funktion des Nervensystems, um vielfältige Informationen aufzunehmen, zu bewerten, und abzuspeichern, um sie später wieder abrufen zu können. Das Gedächtnis besteht aus dem Ultrakurzzeitgedächtnis, dem Kurzzeitgedächtnis (Arbeitsgedächtnis) und dem Langzeitgedächtnis. Der Begriff “Arbeitsgedächtnis” erweitert die Funktion des Kurzzeitgedächtnisses, weil die einkommenden Informationen hier aufgearbeitet werden müssen, bevor sie zur weiteren Speicherung weitergeleitet werden können. Da das Arbeitsgedächtnis damit eine Art Flaschenhals für alle einkommenden Informationen darstellt, bestimmt vor allem die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses die kognitive Entwicklung und die Merkfähigkeit des Gehirns, ist also auch entscheidend für den Lernprozess.
Ultrakurzzeitgedächtnis (auch sensorisches Gedächtnis)
Sensorische Informationen, also Wahrnehmungen, werden erfasst und für Bruchteile von Sekunden (für ca. 0,5 - 2 Sekunden) unverarbeitet gespeichert. Das Ultrakurzzeitgedächtnis reagiert auch auf die verschiedenen Sinnesmodalitäten (wie auditiv oder visuell). Hier sind auch so genannte Filter aktiv, die die unglaubliche Vielzahl an einkommenden Informationen nach bestimmten Merkmalen selektieren, und eine erste Vorsortierung der Informationen durchführen. Die Informationen werden dann in kleinere Teileinheiten, sogenannte “chunks”, gebündelt. Dies ist notwendig, um die Informationen ins Kurzzeitgedächtnis weiterleiten zu können.
Arbeitsgedächtnis
Hier werden die Informationen kurz festgehalten, bis entschieden wird, was tatsächlich ins Langzeitgedächtnis transferiert wird und was verworfen werden soll. Dies dauert, abhängig von der Menge an Information von einigen Sekunden bis zu wenigen Minuten, bevor die Information überschrieben wird.
Auch im Arbeitsgedächtnis gibt es spezifische Modalitäten wie räumlich/visuell, artikulatorisch/phonologisch oder exekutiv. Das Arbeitsgedächtnis versucht, die verschiedenen Informationen (auch basierend auf Vorerfahrungen) in einen größeren Kontext zu stellen und entscheidet dann über die Relevanz der Informationen. Das Arbeitsgedächtnis ist begrenzt und zeigt auch eine stark abnehmende Leistung, wenn mehrere Reize der gleichen Modalität gleichzeitig dargeboten werden.
Langzeitgedächtnis
Die Speicherung von Informationen im Langzeitgedächtnis ist ein etwa 24 Stunden dauernder Prozess, in dem Neuronen weiterentwickelt und umgebaut werden. Das Langzeitgedächtnis hat wieder 2 Modalitäten, das deklarative Gedächtnis (Wissen) und das prozedurale Gedächtnis (Verhalten). Für das Lernen von Fertigkeiten ist also das prozedurale Gedächtnis verantwortlich.
Bei der Speicherung von Information im Langzeitgedächtnis verläuft über verschiedene Stufen: Lernen, Erinnern, Konsolidieren und weiteres Verknüpfen. Eine bewährte Form der Konsolidierung ist das Gelernte in eigenen Worten zu formulieren. Nicht benötige Information kann natürlich auch wieder vergessen werden. In diesem gesamten Prozess spielt die Aufnahme- und Speicherkapazität eine Rolle, denn neu hinzukommende Informationen stehen ständig in Konkurrenz zu den vorherigen. So können bestehende Informationen auch wieder gelöscht werden, bevor sie das Langzeitgedächtnis erreicht haben.
Gedächtnisfunktion
Damit Informationen prinzipiell im Gedächtnis gespeichert werden können, werden sie kategorisiert. In der Kindheit werden besonders viele Kategorien angelegt, die dann aufgrund von Erfahrungen immer ausdifferenzierter werden. Je mehr Kategorien zur Verfügung stehen, desto leichter fällt die Einordnung einer neuen Information. Die Bewertung von Impulsen ist besonders effektiv, wenn sie im Zuge von Problemlösungen verarbeitet werden. Dann nämlich beginnt ein intrinsisches Belohnungssystem zu feuern. Dabei wird Dopamin ausgeschüttet. Dopamin ist ein chemischer Botenstoff, der die intrinsische Motivation steuert. Er hat aber noch andere wichtige Aufgaben: Dopamin aktiviert beim Problemlösen das Kurzzeitgedächtnis. Gleichzeitig initiiert es eine Genaktivierung. Diese wiederum sorgt für den Umbau der Neuronen zur Speicherung im Langzeitgedächtnis. Dopamin wirkt damit direkt auf die Gedächtnisbildung und hilft, eine erfolgreiche Strategie automatisch und nachhaltig abzuspeichern. Menschen behalten dadurch gleichzeitig emotional gefärbte Erlebnisse besser als neutrale.
Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung der Gedächtnisleistung ergibt sich aus der Beobachtung, dass offenbar jedes sensorische System über ein eigenes Kurzzeitgedächtnis verfügt. Bislang sind nur das Sprach- und Hörsystem sowie das visuelle System eingehend erforscht. Der Beweis zweier getrennter Kurzzeitgedächtnisse für verbale und visuelle Informationen ist erbracht, aber vermutlich gibt es weitere Kurzzeitgedächtnisse für Geräusche, für Gerüche, Geschmäcker und für Tastempfindungen. Sprachliche Informationen werden im sogenannten phonologischen Kurzzeitgedächtnis gespeichert und zwar unabhängig davon, ob sie visuell oder akustisch angeliefert worden sind. Demgegenüber werden nicht sprachliche visuelle Informationen im visuellen Kurzzeitgedächtnis gespeichert. Das heißt, es besteht die Möglichkeit, dass ein und derselbe Arbeitsspeicher gleichzeitig genutzt werden kann. Kombinierte sprachliche und grafische Darstellungsweisen einer Information bedeuten eine Erhöhung der Speichermöglichkeit. Zu bedenken ist lediglich, dass die grafischen Teile nicht wieder mit Sprache erklärt werden, sondern durch Bilder oder andere Visualisierungen. Es sollten daher möglichst Vorkehrungen gegen Fehler in der visuellen Speicherung getroffen werden, indem man beispielsweise alle visuelle Information zusätzlich noch einmal sprachlich einbringt.
Was bedeutet dies für meine Unterrichtspraxis?
Das Arbeitsspeichergedächtnis spielt im Lernprozess eine entscheidende Rolle. Die Kapazität des Arbeitsspeichergedächtnisses kann nicht direkt gemessen, sondern nur beobachtet werden. Es ist bedeutend die Plastizität und damit das Fassungsvermögen dieses Zwischenspeichers zu trainieren und zu erhöhen. Durch Visualisierungsstrategien – kombinierte sprachliche und graphische Darstellungsweisen – sollten die Verarbeitungsleistung erhöht werden.
Reflexionsfrage
Unter welchen Bedingungen ist das Arbeitsgedächtnis überlastet?
Quiz
1) In welchem Bereich des Gedächtnisprozesses spielt “Chunking” eine Rolle?
A) Ultrakurzzeitgedächtnis
B) Arbeitsgedächtnis
C) Langzeitgedächtnis
2) Wie funktioniert das intrinsische Belohnungssystem?
A) Ausschüttung von Dopamin
B) Aktivierung des Kurzzeitgedächtnisses
C) Umbau der Neuronen