Wahrnehmungsprozesse
Wie aus Sinnesdaten eine Wahrnehmung wird, ist ein äußerst komplexer Vorgang, der auch in der Gehirnforschung noch nicht vollständig enträtselt ist. Sobald sensorische Reize an uns herankommen, prüft unser Gehirn in Bruchteilen von Sekunden eingehende Informationen. Es verwirft, bewertet und sortiert sie vor, damit eine mögliche Speicherung schneller funktioniert. All dies geschieht natürlich vor dem Hintergrund der Erfahrungen, der Gefühle und der Aufmerksamkeit des Menschen.
Inhalt
Wie aus Sinnesdaten eine Wahrnehmung wird, ist ein äußerst komplexer Vorgang, der auch in der Gehirnforschung noch nicht vollständig enträtselt ist. Sobald sensorische Reize an uns herankommen, prüft unser Gehirn in Bruchteilen von Sekunden eingehende Informationen. Es verwirft, bewertet und sortiert sie vor, damit eine mögliche Speicherung schneller funktioniert. All dies geschieht natürlich vor dem Hintergrund der Erfahrungen, der Gefühle und der Aufmerksamkeit des Menschen.
Sensorik
Die Entwicklung des Menschen ist von Beginn an durch Wahrnehmung gesteuert. Es beginnt damit, dass der Fötus quasi aus dem Nichts heraus Bewegungen generiert. Er stößt an räumliche Grenzen. Aus den sensorischen Rückmeldungen dieser Begrenzungen lernt das Kind, sich selbst wahrzunehmen. Nach und nach lernt es Reize seines Körpers und seiner Umgebung aufzufassen. Wahrnehmungen sind Reize von außen, also extrinsische Informationen. Alle erfahrenen Muster sind in neuronalen Netzwerken gespeichert und sind Teil der intrinsischen Informationen. In der Verarbeitung von sensorischem Input werden extrinsische und intrinsische Informationen verbunden.
Sobald Reize weitergeleitet werden, geht man davon aus, dass ein “gedachter Raum” entsteht. Die Wahrnehmung löst also einen Problemlösungsprozess aus. Antizipatorisch, also vorgreifend, wird ein Aktionsplan, ein Plan für ein bestimmtes Bewegungsmuster, erstellt. Gleichzeitig wird, durch Einbeziehung intrinsischer Informationen (Erfahrungen) auch ein Plan B, ein Alternativprogramm vorbereitet.
Beispiele:
Wenn ein Baby erstmals auf einen heißen Ofen greift, ist seine Reaktionszeit sehr lang. Es hat keine intrinsische Information und daher keinen Plan B.
Mensch geht im Schwimmbad über nasse Fliesen. Ohne Vorerfahrungen rutscht er. Hat er jedoch Vorerfahrungen kann er die Gefahr wahrnehmen und Geschwindigkeit, Gleichgewicht und Trittfestigkeit danach richten.
Sehen
Bereits als Fötus bewegt der Mensch seine Augen. Der Sehsinn entwickelt sich in den ersten Lebensmonaten auch als Fähigkeit der Augenkontrolle, in der nicht nur die Welt, sondern vor allem auch die eigenen Extremitäten und ihre Bewegungen kontrolliert werden.
Das Auge des Menschen kann aus einer Flut von Informationen Bilder unserer Welt erzeugen. Visuelle Reize, die auf das Auge treffen, werden von über 120 Millionen Rezeptoren aufgenommen. Wir sind in der Lage, zehn Millionen Farbtöne zu unterscheiden, Winziges in unserer Nähe und Riesiges in extremer Entfernung wahrzunehmen.
Der Verarbeitungsprozess unserer visuellen Wahrnehmungen beginnt bereits auf der Netzhaut: Signale aus den Rezeptoren verdichten sich dort. Sie werden verarbeitet und über den Sehnerv zum visuellen Cortex geleitet. Unter Einbeziehung von Erfahrungen, Gedächtnisprogrammen, Emotionen und Erinnerungen werden die Informationen sortiert, selektiert und bewertet. Dies ergibt schließlich eine Wahrnehmung, die allerdings kein realistisches Bild der Wirklichkeit ist, sondern ein individuelles. Denn unser Gehirn wäre heillos überfordert, wenn es ununterbrochen das gesamte Informationsvolumen, das als visuelle Reize an uns herankommen, vollständig und real verarbeiten müsste.
Bedeutend in der Bewertung der visuellen Wahrnehmungen ist die Schaffung sinnvoller, wenn subjektiver, Bilder der Umwelt, in der wir uns zurechtfinden können. Täuschungen entstehen dann, wenn nicht genügend eindeutige Informationen vorliegen, sich unser Gehirn auf Erfahrungswerte und gespeichertes Wissen verlässt und dennoch ein halbwegs glaubwürdiges Bild konstruiert.
Visuelle Wahrnehmungsprobleme resultieren auch aus mangelnder oder unzureichender Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit bedeutet in diesem Zusammenhang die autonome und bewusste Fokussierung und Selektion der Reize.
Hören
Als eines der ersten Sinnesorgane des Menschen werden die Ohren ausgebildet. Bereits in der achten Schwangerschaftswoche entwickelt sich der Gleichgewichtssinn und spätestens im sechsten Schwangerschaftsmonat kann der Mensch hören.
Die auditive Wahrnehmung findet im Gehirn, in einem Netz von Arealen in und unter der Großhirnrinde statt. Auditive Impulse gelangen als unterschiedliche Frequenzen in die Schnecke des Innenohres. Durch die Verbindung verschiedener Frequenzbereiche mit bestimmten Gehirnarealen ist also bereits hier eine Vorsortierung der Wahrnehmungen möglich. Die Fülle an auditiven Reizen ist enorm groß. Die Selektion von Chunks (Teile der auditiven Informationen), die verarbeitet werden sollen, muss binnen Millisekunden geschehen. Der Wahrnehmungsprozess kann daher nur funktionieren, weil Erfahrungen und Aufmerksamkeit daran beteiligt sind.
Vom Grad der Aufmerksamkeit hängt es auch ab, ob aus Hören ein „Nebenbeihören“ oder ein Zuhören wird. Selektives Zuhören benötigt nämlich eine hohe Konzentration und ist anstrengend. Durch ständige Reizüberflutung wird zudem eine differenzierte Wahrnehmung schwieriger und Informationen können nicht mehr richtig verarbeitet werden.
Eine bewusste Auswahl in der Aufnahme von Sinneseindrücken hat jedoch eine fundamentale Bedeutung für das Lernen. Patricia Kuhl zeigt am Beispiel sechs Monate alter Kinder den integrativen Zusammenhang zwischen fokussierter und selektiver Wahrnehmung und der Fähigkeit aufmerksam zu sein. Sie haben universell die Kompetenz, Laute aller Sprachen der Welt wahrzunehmen. Im Alter von etwa acht Monaten wird diese Fähigkeit jedoch eingegrenzt. Der Mensch hat gelernt, aufmerksam zu sein und diese Aufmerksamkeit auf die Sprache/n seiner Umgebung zu fokussieren – um diese lernen zu können.
Aufmerksamkeit ist also die Grundbedingung jedes Wahrnehmungsprozesses. Fokussiert und selektiv wahrnehmen zu können ist auch die Grundlage von Selbstkompetenz und selbstgesteuertem Lernen. Die Fokussierung auf die Informationsquelle hat mitunter sogar einen physiologischen Einfluss auf den Hörer: So passt sich bei aufmerksamem Zuhören gesprochener Texte sogar der eigene Atemrhythmus an den des Sprechers an.
Was bedeutet dies für meine Unterrichtspraxis?
Selektives Hören ist eine Kompetenz, die trainiert werden muss, um relevante Informationen von weniger wichtigen unterscheiden zu können. Im Unterrichtsalltag sind Kinder ständig gefordert, Vordergründiges von Hintergründigem auditiv zu sortieren. Bewusstes Zuhören und das Training des selektiven Hörens können sich positiv auf die Aufnahmefähigkeit der Kinder auswirken.
Reflexionsfrage
Welche Rolle spielen Erfahrungen und Aufmerksamkeit in visuellen als auch auditiven Wahrnehmungsprozessen? Wie können Vorerfahrungen im Unterrichtsprozess aktiviert werden, um Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft zu erzeugen?
Quiz
1) Wahrnehmungen lösen einen Problemlösungsprozess aus. Wie wirkt dieser?
A) Selektiv
B) Antizipatorisch
C) Extrinsisch
2) Warum können viele Schulkinder nicht selektiv hören?
A) Niemand bringt es ihnen bei
B) Bei Multitasking braucht man das nicht
C) Es gibt so viele Ablenkungen